Das erste Tier, das ich beerdigte, war eine Maus, die ich genau dann beerdigte, als ich siebenunddreißig Jahre, fünf Monate und zehn Tage alt war. Wahrscheinlich auch ein paar Minuten oder Stunden mehr. Aber diese Präzision war wohl von einer ehemaligen Ingenieurin, die nur sehr ungern studiert hatte, zu erwarten! Dies alles ist vor einigen Minuten geschehen. Die Maus lag tot da unter den Schuhen. Klein war sie nicht; sie war so alt, dass ihre zwei Zähne vergilbt waren. Sie lag unten vor der Treppe und es schien nicht unwahrscheinlich, dass sie von oben herabgestürzt war; genau dann, als sie sich aus dem von mir eingerichteten geschlossenen Raum mit der Lebendfalle gerettet hatte. Einen Suizidversuch schließe ich auch nicht aus. Sie könnte müde gewesen sein, nachdem sie zwei Tage hinter dem verpackten Zelt gelebt hatte. Ein Suizidversuch wegen akuter Krankheit erscheint mir auch nicht unwahrscheinlich. Denn sie hatte längst eine Plastiktüte durchgenagt. Ich dachte mir sogar, sie könnte an Krebs sterben. Das alles passierte, nachdem ich darauf aufmerksam geworden war, wie sie sich unter der großen Kiste mit den Winterkleidern mehrere Tunnel angelegt und mit dem Trockenfutter der Katze ausgestattet hatte. Das alles, nachdem ich geplant hatte, sie zu fangen! Bin ich aber schuld, dass sie nun tot ist? Nein, nein! Ich habe sie eine lange Zeit leben lassen. Mehrmals hörte ich sie und immer dachte ich mir, sie könnte wohl weiterleben. Es war ein friedliches Leben, so unter uns dreien, zugleich eine Parodie des Maus-Katze-Verhältnisses. Dies kann man vielfältig deuten: wenn zum Beispiel die Katze aus ihrer Natur heraus die gefangene Maus nicht frisst, dann tritt die lebende Maus in eine bescheidene Konkurrenz zu ihr und ernährt sich von Katzenfutter. Das heißt, falls die Katze die Maus nicht töten würde, wäre ein friedliches Zusammenleben denkbar. Das ist aber zu weit gedacht, ich weiß! Auch als Ablenkung funktioniert nicht wirklich. Tatsache ist vielmehr dies: die Maus lag tot an der Treppe und ich war mitschuldig an diesem Verbrechen, trotz meiner guten Intention. Gestern Nacht bemerkte ich, dass sie sehr geschickt das Stück Brot mit Nutella weggenommen hatte, ohne die Lebendfalle zu betätigen. Erst kam Ärger, dann eine gewisse Bewunderung, dann das Gefühl von Mitleid, sie musste hungrig gewesen sein. Zugleich ein bereits vorausgreifendes Schuldgefühl, sie könnte verhungern. Dann begann die paradoxe Menschlichkeit, so dass ich wieder Trockenfutter in die Falle hineinführte, damit sie nicht stirbt. Sie ist aber nun trotz allem gestorben; ist gestürzt. oder vermutlich hat sie sich umgebracht aus Hunger oder der Müdigkeit, sich ewig in einem Raum von einem halben Quadratmeter zu bewegen. Das muss todlangweilig sein. Sie war aber auch stur, sonst hätte ich sie längst mit der Lebendfalle retten können. Sie war zu geschickt, zu erfahren und zu autonom - es lässt sich alles so denken...
Sie habe ich beerdigt. Der Boden war zu fest. Ich musste die Schnecken umsetzen, damit das Verbrechen nicht an mich weiter anwuchs. Es ging aber nicht ganz schuldlos weiter. Ich musste viel Wurzeln in diesem festen Boden zerteilen, um eine Grube in der Erde zu schaffen: eine bescheidene Vertiefung für die geschickte, autonome Maus; für die bescheidene Konkurrentin der Katze, die wochenlang friedlich mit uns lebte. Tränen liefen, als ob ich nicht schuld wäre. Sogar meinen früheren geliebten Kater hatte ich nicht selbst beerdigt. Ich umarmte ihn nur und die Tierärztin injizierte die hochdosierte Narkose und er schlief, tiefkrank und schuldlos. Ich hatte den Tod erlaubt, wie ein Gott. Ich war Schuld. Auch der Versuch, wissenschaftlich nüchtern zu denken, hätte meine nächsten Wochen nicht retten können. Er wurde aber verbrannt. Die übriggebliebene Asche war noch bescheidener als der tote Körper der Maus. Der Kater wurde verwandelt. Die Maus wird auch in Kürze verwandelt werden. Die Wurzeln der Pflanzen werden durch sie hindurch wachsen. Die Schuld unseres Lebens bindet sich dann an das Leben anderer. Dadurch versuchen wir, das Blut von unseren Händen zu entfernen. Das Leben wächst durch den Tod hindurch; es wäscht unsere Hände. Die Tod-Leben-Verwandlung negiert unsere Schuld. Zeit vergeht und die Wurzeln entwickeln sich weiter in die Tiefe, die Pflanzen in die Höhe. Sie helfen uns: Schritte zurück in unsere Vergangenheit, als die Schultern weniger belastet waren; wo wir gerade standen.
Sie habe ich beerdigt. Der Boden war zu fest. Ich musste die Schnecken umsetzen, damit das Verbrechen nicht an mich weiter anwuchs. Es ging aber nicht ganz schuldlos weiter. Ich musste viel Wurzeln in diesem festen Boden zerteilen, um eine Grube in der Erde zu schaffen: eine bescheidene Vertiefung für die geschickte, autonome Maus; für die bescheidene Konkurrentin der Katze, die wochenlang friedlich mit uns lebte. Tränen liefen, als ob ich nicht schuld wäre. Sogar meinen früheren geliebten Kater hatte ich nicht selbst beerdigt. Ich umarmte ihn nur und die Tierärztin injizierte die hochdosierte Narkose und er schlief, tiefkrank und schuldlos. Ich hatte den Tod erlaubt, wie ein Gott. Ich war Schuld. Auch der Versuch, wissenschaftlich nüchtern zu denken, hätte meine nächsten Wochen nicht retten können. Er wurde aber verbrannt. Die übriggebliebene Asche war noch bescheidener als der tote Körper der Maus. Der Kater wurde verwandelt. Die Maus wird auch in Kürze verwandelt werden. Die Wurzeln der Pflanzen werden durch sie hindurch wachsen. Die Schuld unseres Lebens bindet sich dann an das Leben anderer. Dadurch versuchen wir, das Blut von unseren Händen zu entfernen. Das Leben wächst durch den Tod hindurch; es wäscht unsere Hände. Die Tod-Leben-Verwandlung negiert unsere Schuld. Zeit vergeht und die Wurzeln entwickeln sich weiter in die Tiefe, die Pflanzen in die Höhe. Sie helfen uns: Schritte zurück in unsere Vergangenheit, als die Schultern weniger belastet waren; wo wir gerade standen.